Über den Sinn und das Wissen
Die Dinge, wie sie sich gerade zu dieser Zeit zeigen, wie sie sich entwickeln, kann ich zwar mit meinem Verstand erfassen, aber den Sinn, der sich dahinter verbirgt, kann ich nicht verstehen. Laotse hat dazu im Tao Te King wie folgt beschrieben:
1. Verkörperung des Sinns
Der SINN, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige SINN.
Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name.
Jenseits des Nennbaren liegt der Anfang der Welt.
Diesseits des Nennbaren liegt die Geburt der Geschöpfe.
Darum führt das Streben nach dem Ewig-Jenseitigen zum Schauen der Kräfte,
das Streben nach dem Ewig-Diesseitigen zum Schauen der Räumlichkeit.
Beides hat Einen Ursprung und nur verschiedenen Namen.
Diese Einheit ist das Große Geheimnis.
Und des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis: Das ist die Pforte der Offenbarwerdung aller Kräfte.
Laotse. Tao Te King: Das Buch vom Sinn und Leben (German Edition) (S.35). Zenodot Verlagsgesellschaft. Kindle-Version.
Es gibt so viele Menschen, die zu wissen glauben, was richtig und was falsch ist, warum Dinge passieren und was die Ursachen dafür sind. Sie beurteilen und verurteilen, sie nehmen irgendwelche Informationen auf, aus den unterschiedlichsten Quellen und definieren ihre persönliche Wahrheit, ihre persönliche Perspektive und handeln genau danach. Und diese Meinung verteretn viele mit einem enormen Selbstvertrauen. Sie sind überzeugt, Dinge zu wissen, über die sie auch reden. Fast alle Menschen, ob Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung oder auch in Vereinen, Kneipen, auf den Straßen oder zuhause reden und verhalten sich auch so. Auch das verstehe ich nicht, weil ich der Überzeugung bin, dass kein Mensch das Wissen hat, alle Zusammenhänge zu verstehen. Aus diesem Grund habe ich folgende Überzeugung für mich verinnerlicht:
Ich bin davon überzeugt, dass ich nicht weiß!
Wissen und Weisheit sind schon seit tausenden von Jahren beliebte Themen, über die immer wieder philosophiert wurde. So schreibt Platon über Sokrates, dass dieser sich viele Feinde gemacht haben soll, weil er viele, sogenannte Wissende seiner Zeit (Politiker, Handwerker, Dichter und andere als weise bezeichnete Menschen) zu deren Wissen befragt hatte und festgestellt hat, dass sie alle an ihr Wissen glaubten und davon überzeugt waren, dass sie Wissende waren.
„Beim Weggehen aber sagte ich zu mir: ‚Verglichen mit diesem Menschen bin ich doch weiser. Wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beiden etwas Rechtes; aber dieser glaubt, etwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß; ich dagegen weiß zwar auch nichts, glaube aber auch nicht, etwas zu wissen. Um diesen kleinen Unterschied bin ich also offenbar weiser, dass ich eben das, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube.‘ Von da ging ich zu einem anderen, den man für noch weiser hält als jenen. Dort bekam ich genau denselben Eindruck und machte mich auch bei diesem und dann noch bei vielen anderen unbeliebt. Daraufhin fuhr ich nun der Reihe nach fort und merkte dabei mit Betrübnis und Erschrecken, dass ich mir immer mehr Feinde machte. Dennoch schien es mir nötig, dem Götterspruch größtes Gewicht beizulegen. Darum musste ich zu all denen gehen, die etwas zu wissen schienen, um zu sehen, was das Orakel meine.“
– Platon: Apologie des Sokrates
Sokrates erkennt also, dass es sich bei allem Wissen von uns Menschen in Wirklichkeit um Scheinwissen handelt. Die Mamos der Kogi, ein Naturvolk aus Kolumbien, sprechen von dem 'toten Wissen', was die Meinung von Sokrates unterstreicht, dass man bei uns Menschen grundsätzlich kein sichere Wissen findet, sondern wir sprechen lediglich von einer vorläufigen Überzeugung, einer vorläufigen Wahrheit. Ich würde es als eine Teilwahrheit bzw. ein Teilwissen bezeichnen.
Was bedeutet das nun für mich?
Für mich bedeutet es, dass ich aufgrund meines Nicht-Wissens, damit leben kann, dass ich den Sinn unseres Denkens, unseres Handelns und unseres Verhaltens, also die Zerstörung von Lebendigkeit und der Mutter Erde, so wie sie einmal war, annehmen kann, in der Form, dass es mich nicht selbst zerstört, auch wenn es mir immer wieder Schmerzen bereitet. Es führt aber auch dazu, dass ich in meinem direkten Umfeld anders denke, anders fühle, anders lebe und anders bin.
Was nehme ich in unserer zivilisierten Welt wahr?
Die für mich auffälligste Entwicklung auf der Mutter Erde ist die Veränderung von Leben in Richtung Funktion, also die Veränderung von Natur in System. Wir können das am besten an uns selber erkennen. Wir leben nicht mehr im Sinne der Natur, sondern wir funktionieren immer mehr im Sinne des Systems. Dabei bewerte ich diese Entwicklung nicht (richtig - falsch, gut - schlecht), weil ich davon überzeugt bin, dass wir Menschen dazu nicht in der Lage sind. Unser Verstand kann nur einen kleinen Teil, also reduziert erfassen, nie ganzheitlich, auch wenn viele Menschen das Gegenteil behaupten. Liä Dsi hat die Veränderung des Lebens bei uns Menschen vor über 2000 Jahren wie folgt beschrieben:
Yang Dschu sprach: „Vier Gründe sind es, dass die lebenden Menschen nicht zur Ruhe kommen: der eine ist das lange Leben, der zweite ist der Ruhm, der dritte ist der Rang und Stand, und der vierte ist der Besitz. Um dieser vier Dinge willen fürchten sie die Geister, fürchten sie die Menschen, fürchten sie die Macht und fürchten sie die Strafe. Die das tun, sind Menschen, die nicht zur Besinnung kommen. Man kann sie töten, man kann sie am Leben lassen: ihr Schicksal wird von außen her bestimmt.
Wer seinem Los nicht widerstrebt, was braucht der hohes Alter zu begehren? Wer sich nicht um Ansehen kümmert, was braucht der Ruhm zu begehren? Wer nicht nach Macht trachtet, was braucht der Rang und Stand zu begehren? Wer nicht nach Reichtum gierig ist, was braucht der Besitz zu begehren? Die solches tun, sind mit sich selbst im reinen. Auf der ganzen Welt finden sie keine Gegner; ihr Schicksal wird von innen her bestimmt. Darum sagt ein Sprichwort:
„Die Leute ohne Ehr und Amt sind nur zur halben Last verdammt,
Und schafft man Speis‘ und Kleidung ab,
Gräbt man der Staatsgewalt ihr Grab.
“Liä Dsi – Das wahre Buch vom quellenden Ursprung – Buch VII: Yang Dschu; 16. Sklaven und Herren der Güter des Lebens
Es gibt diese vier Merkmale und der Glaube an die Erkenntnis von uns Menschen, die die Entwicklung von Leben in Richtung Funktion kennzeichnen und die immer bestätigen, dass sich die Entwicklung nicht umkehrt, d.h. dass das Pendel des Lebens immer noch in dieselbe Richtung schwingt. Dabei ist unsere Überzeugung der menschlichen Erkenntnis durch unser Bewerten, Urteilen und Verurteilen erkennbar.
Bei dieser Entwicklung von Leben zu Funktion, verändert sich die Basis jeglichen Lebens, die da lautet:
„Alles nimmt sich nur so viel, wie es zum Leben benötigt“
hin zum Systemdenken:
„Alles nimmt sich so viel, wie es möchte oder bekommen kann, je mehr, umso besser“.
Die Folge ist, dass sich die Lebewesen immer stärker in Funktionswesen umwandeln und Leben nur noch zu einer Funktion reduziert wird. Diese Entwicklung wird durch eines unserer Grundrechte einzementiert, was wir in nahezu allen Verfassungen wiederfinden: der Besitz / das Eigentum.
Auch diese Entwicklung bewerte ich nicht, aber ich sehe mir sie ohne Filter an.
Leben und Lebendigkeit
Was verstehe ich unter Leben?
Ich unterscheide lebendiges oder natürliches Leben von totem Leben, welches ich auch Funktion nenne. Das lebendige Leben ordne ich der Natur zu, so wie sie vor vielen Jahrmillionen entstanden ist und die Funktion ordne ich dem heutigen System von uns Jüngeren Brüdern zu.
Laotse hat das hohe und das niedere Leben unterschieden, was recht gut zu meinen beiden genannten Arten von Leben passt:
38. Über das Leben
Das hohe LEBEN sucht nicht sein LEBEN, also hat es LEBEN.Das niedere LEBEN sucht sein LEBEN nicht zu verlieren, also hat es kein LEBEN.
Das hohe LEBEN ist ohne Handeln und ohne Absicht, Das niedere LEBEN handelt und hat Absichten:
Die Liebe handelt und hat nicht Absichten.Die Gerechtigkeit handelt und hat Absichten.Die Moral handelt, und wenn man ihr nicht entgegenkommt – so fuchtelt sie mit den Armen und zieht einen herbei.
Darum: Ist der SINN abhanden, dann das LEBEN.Ist das LEBEN abhanden, dann die Liebe.Ist die Liebe abhanden, dann die Gerechtigkeit.Ist die Gerechtigkeit abhanden, dann die Moral.
Diese Moral ist Treu und Glaubens Dürftigkeit und der Verwirrung Beginn.Vorbedacht ist des SINNES Schein und der Torheit Anfang.
Also auch der rechte Mann:Er weilt beim Völligen und nicht beim Dürftigen.Er bleibt beim Sein und nicht beim Schein.Darum tut er ab das Ferne und hält sich ans Nahe.
Laotse. Tao Te King: Das Buch vom Sinn und Leben (German Edition) (S.53). Zenodot Verlagsgesellschaft. Kindle-Version.
Laotse beschreibt recht deutlich unsere Anstrengungen, nicht zu sterben. Die Moral gibt vor, jedes menschliche Wesen am Leben zu halten, auch bzw. vor allem Behinderte, Alte, Verletzte oder Kranke. Schon allein das ist wider der Natur. Eine moralisch und ethisch sehr verwerfliche Meinung, wenn man nicht davon überzeugt ist, dass der Kreislauf des Lebens genau dafür entstanden ist. Jedes Wesen, welches stirbt, begibt sich in den nächsten Kreislauf, der diesem Wesen die Chance gibt, ohne Behinderung , ohne Schmerzen, ohne Krankheit und wieder ohne „Altersbeschwerden“ leben zu können. Ein Mensch, der zu einer der vier Gruppen gehört wird bei uns Jüngeren Brüdern am Funktionieren gehalten, nicht aber am Leben. Denn die Qualität solch eines Lebens ist nicht mit dem hohen oder natürlichen Leben vergleichbar.